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Der Schritt, Deutschland hinter uns zu lassen, war kein leichter. Doch zwischen Frust auf dem Arbeitsmarkt, wachsendem Druck durch Bürokratie und einem Alltag, der kaum noch Perspektiven bot, reifte die Entscheidung zur Auswanderung. In diesem Artikel erzähle ich von den Gründen, die uns damals bewegt haben, den Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten, und dem mutigen Neuanfang in Indonesien, der nicht nur unsere berufliche, sondern auch unsere familiäre Zukunft neu geprägt hat.
Mai 2008: Der Wendepunkt
Die Entscheidung, Deutschland zu verlassen, fiel nicht über Nacht – sie reifte über Monate hinweg. Im Mai 2008 wurde uns jedoch endgültig klar: Für uns, als junge Familie mit Unternehmergeist und internationalen Wurzeln, war in Deutschland kaum noch Luft zum Atmen. Der ausschlaggebende Grund war die berufliche Perspektivlosigkeit meiner indonesischen Frau, die 2007 ihr Masterstudium im Bereich Finanzwesen in Deutschland erfolgreich abgeschlossen hatte.
Trotz ihrer Qualifikationen, ihres Fleißes und ihrer Motivation scheiterte sie immer wieder an den strukturellen Hürden des deutschen Arbeitsmarkts. Ein großer Faktor war die beginnende globale Finanzkrise, die viele Unternehmen verunsicherte und zu einem weitgehenden Einstellungsstopp führte. Besonders für Nicht-EU-Bürger war der Zugang zum Arbeitsmarkt noch schwieriger. Bewerbungen blieben unbeantwortet oder wurden mit dem Hinweis auf mangelnde Berufserfahrung im Inland abgelehnt. All das zermürbte nicht nur ihre beruflichen Ambitionen, sondern auch unsere gemeinsame Zukunftsplanung in Deutschland.
Zu diesem Zeitpunkt führten wir gemeinsam einen kleinen Onlineshop und ein Ladenlokal für Videospiele, Computerzubehör und Elektronikartikel in Görlitz. Die Idee entstand aus unserer gemeinsamen Leidenschaft für Technik und Unterhaltungselektronik. Anfangs lief das Geschäft gut, doch je länger wir aktiv waren, desto mehr Hürden taten sich auf.
Gesetze gegen den Mittelstand?
Ein besonders belastendes Thema war die berüchtigte Widerrufsbelehrung mit einer Rückgabefrist von damals einem Monat bei Onlinekäufen. Was als Verbraucherschutz gedacht war, wurde von vielen Kunden schamlos ausgenutzt:
In der Urlaubszeit wurden teure Videokameras gekauft, intensiv genutzt und kurz nach der Rückkehr ohne Angabe von Gründen zurückgeschickt. Bei der Fußball-WM verkauften wir zahlreiche hochauflösende Fernsehgeräte, die nach dem letzten Spiel wieder auf unserer Türschwelle landeten – geöffnet, gebraucht und teilweise ohne Originalverpackung.
Diese Rücksendungen bedeuteten für uns wirtschaftliche Verluste, da wir die Ware nicht mehr als Neuware verkaufen konnten. Zudem mussten wir gemäß Gesetz auch noch die Rücksendekosten übernehmen. Der wirtschaftliche Schaden war erheblich und stieg Monat für Monat.
Das deutsche Rechtssystem, das eigentlich Fairness garantieren sollte, entwickelte sich für uns zur Bürde. Kleinunternehmer wie wir hatten kaum eine Stimme und wurden in der Gesetzgebung oft übergangen. Immer neue Vorschriften, Formvorgaben und Pflichten erschwerten uns die Arbeit zusätzlich.
Wir beschlossen: So kann es nicht weitergehen. Wir mussten raus – raus aus der Bürokratie, raus aus der gefühlten Sackgasse, insbesondere, da meine Frau sich zunehmend als „nicht willkommen“ fühlte. Die Zukunft unseres Kindes sollte nicht von Frustration und Perspektivlosigkeit geprägt sein.
Der Plan: Ein neuer Anfang in Jakarta
Unsere Auswanderung war kein Schnellschuss. Wir planten sie sorgfältig, rechneten durch, diskutierten endlos. Im September 2008 sollte der erste große Schritt erfolgen. Die Ausreise wurde zeitlich gestaffelt: Meine Frau und unsere damals zweijährige Tochter sollten zuerst nach Indonesien fliegen.
Zum einen stand die Hochzeit der Schwester meiner Frau in Jakarta an – ein kulturell bedeutendes Ereignis. Zum anderen war es wichtig, dass meine Frau vor Ort rasch beruflich Fuß fassen konnte. Schon im Vorfeld hatten ihre beiden Schwestern, die in Jakarta lebten, Bewerbungen für sie verteilt. Die Resonanz war erstaunlich positiv: Bereits wenige Tage nach ihrer Ankunft erhielt sie die ersten Jobangebote. Das gab uns Mut und Sicherheit.
Gleichzeitig war klar, dass in Deutschland noch vieles zu regeln war. Der komplette Hausstand musste aufgelöst, das Ladenlokal geschlossen, Mietverträge gekündigt und Warenbestände abverkauft oder entsorgt werden. Diese Aufgaben übernahm ich.
Ich bleibe zurück – vorerst
Ich setzte mir ein Zeitfenster von drei Monaten, um alle organisatorischen und materiellen Verpflichtungen in Deutschland zu klären. Doch das erwies sich als deutlich schwieriger als gedacht. Viele Möbel und Waren ließen sich trotz stark reduzierter Preise nicht verkaufen. Zahlreiche Gegenstände wurden verschenkt oder mussten schlussendlich entsorgt werden. Der emotionale Abschied von unserem Geschäft, in das wir so viel Herzblut gesteckt hatten, fiel mir besonders schwer.
Weihnachten 2008 war es dann so weit: Ich reiste meiner Familie hinterher. Die Wiedervereinigung war emotional – meine Tochter hatte sich sprachlich bereits stark an das Indonesische angepasst. Obwohl wir regelmäßig telefoniert hatten, war die Bindung zu mir in der kurzen Zeit spürbar distanzierter geworden. Die Spielzeit mit den Cousinen war spannender als Papas Stimme am Hörer. Es war schwer, aber verständlich. Kinder passen sich schnell an neue Umgebungen an.
Fazit: Rückblick mit Weitblick
Unsere Auswanderung war keine Flucht – sondern ein mutiger Neuanfang. Deutschland hatte uns vieles gegeben, aber auch viele Steine in den Weg gelegt. Die Rahmenbedingungen für internationale Familien, Selbstständige und beruflich ambitionierte Menschen waren nicht optimal.
In Indonesien fanden wir neue Perspektiven, neue Herausforderungen – und neue Chancen. Meine Frau konnte beruflich Fuß fassen, unsere Tochter wuchs viersprachig auf (Deutsch, Indonesisch, Englisch und Mandarin), und ich konnte mich neu orientieren. Heute blicken wir mit Stolz zurück auf diese schwere, aber richtige Entscheidung. Es war nicht immer einfach, aber es war der Weg, der uns als Familie wachsen ließ – in einem neuen Land, mit neuen Träumen und einer neuen Heimat.
Hallo Silvio,
vielen Dank für deinen sehr informativen Blog, leider habe ich diesen erst viel zu spät entdeckt!
Ich kann deine Gründe zur Auswanderung nachvollziehen, erst vor kurzem habe ich z.B. bei amazon gelesen, dass Artikel nicht zwingend in der Originalverpackung zurückgeschickt werden müssen.
Ich verfolge ähnliche Pläne, nachdem ein Elternteil viel zu früh verstorben ist hat uns die Bürokratie hier an unsere (auch gesundheitlichen) Grenzen gebracht. Jetzt, fast zwei Jahre später, ist noch ein Vorgang offen.
Vor knapp drei Jahren habe ich eine indonesische Frau kennengelernt, wir wollten Ostern 2019 heiraten, doch dann kam Corona.
Falls ein Austausch erwünscht ist freue ich mich über eine Email. Gerne würde ich zusammen mit meiner künftigen Frau in Indonesien (oder einem anderen asiatischen Land) etwas aufbauen.